Die Kälte des Nahen

Bemerkungen zu Bildern von Artur Laskus

Hermann Sturm



Die Nähe der Bildinhalte

Künstler arbeiten – man weiß es – mit der Natur und gegen die Natur.
Sie realisieren Gestalten, Figurationen, Strukturen, setzen künstlich und kunstvoll Zustände von Ordnung gegen Zustände gleichmäßiger Durchmischung und stochastischer Verteilung. Sie schließen Aleatorisches, Zufälliges nicht aus,
aber ordnen dies ein in ein Gesamtkonzept.

Dabei geschieht es zuweilen, was dem Herrn K. in Brechts Kalendergeschichte widerfahren ist, der im Dienst eines Gärtners versuchte, einen Lorbeerbaum
für Festlichkeiten in Kugelform zu schneiden. Er schneidet da und dort,
und als es endlich eine Kugel geworden war, war die Kugel sehr klein.
Der Gärtner sagte enttäuscht: "Gut, das ist die Kugel, aber wo ist der Lorbeer?"

Diese Parabel zeigt, daß der Verlust von Inhalt im Bemühen um die Form nicht
nur ein für Künstler relevantes Problem ist und daß Kunst nicht nur über die Form Mitteilungen machen, sondern daß die Form den Inhalt transportieren soll.


Wie anders soll eingelöst werden, was Artur Laskus feststellt:
Bilder sind Werkzeuge der Wahrnehmung

Nehmen wir seine Bilder als Werkzeuge für unsere Wahrnehmung, so fragt sich, welcher Art diese Werkzeuge sind und was wir mit ihnen bewirken können.

Partikel, Details, Einheiten komplexer Technologie, triviale Objekte des konsumorientierten Alltags, ... fremde Berührungen sind Gegenstand seiner Bilder,
seiner "ästhetischen Be-Weltigung" (Laskus).
Die Gegenstände sind uns nahe im täglichen Gebrauch oder bekannt aus dem Konsum der Medien. Sie sind uns bekannt als Oberflächen und Warenhäute.


Meine Handlungen sind ein Bedienen der Oberflächen und Verrückbarkeiten
Laskus

Sie sind ein Umgang mit dem Nahen.

Seine Bildgegenstände sind dennoch nicht wegen eines Oberflächenreizes,
also nur aus formalen Gründen, ausgewählt.
Die Darstellung der Botschaft wird – ist sie konzipiert – mit großer Sorgfalt
und diskreter Akribie vorgetragen. Aus dieser Sorgfalt, die sich auf beides richtet,
auf Inhalt und Form, ergibt sich Präzision und nicht zuletzt die überzeugende
Wirkung und auch die unbequeme Schönheit der Blätter und Bilder.


Die Kälte des Nahen
a kiss through glass
Laskus


Sein artistisches Handeln ist nun nicht, wie das des Herrn K. – um noch einmal
die Parabel vom vorhin zitierten Lorbeerbaum und der Kugel aufzunehmen – auf die Herstellung einer eindeutig bestimmten Bildform und deren ebenso eindeutigem Inhalt aus, sondern es ist ästhetisch, insofern es das Vertraute fernstellt.

Neben der Präzision im Fragmentarischen ist der artistische Prozeß bestimmt
von der montierenden Verbindung großer und kleiner Bildgegenstände: Halbleiterplättchen, gedruckte Schaltungen, Körper ... Fragmente, medial
vermittelter Wirklichkeit entnommen und zum Teil in anderer Proportionlität gezeigt. Das Kleine wird groß, das Große klein.
Das von Medien erzeugte künstliche Abbild von Wirklichkeit wird selbst zur Realität, ist uns längst schon zur Realität geworden.

Wir nehmen für wahr, was wir wahrnehmen.

Laskus verweist uns u.a. darauf, indem er Teile aus der Bilderwelt der Wissenschaft
und der Science-Fiction verwendet und uns damit die Realität werdende
oder schon Realität gewordene Fiktion einer künstlich-technischen Welt zeigt.
Er nennt es "science faction". Das Künstliche, das Technische wird uns
zum Natürlichen, die Intensivstation zum letzten Ausweg der Medizin aus dem wissenschaftlich-technischen Labyrinth. Technik, Wissenschaft, Künstlichkeit, angetrieben von wirtschaftlichen Interessen, gesteuert durch Macht,
vereint im Spiel gegen die Natur und damit schließlich gegen uns selbst.

Mein Wissen liegt im Schatten der Gegenstände
Laskus

Ob wir diese Folgen unseres Handelns gewollt haben und wollen, auf diese Frage verweisen Artur Laskus' Bilder eindrucksvoll. Die Wirklichkeit, die sie abbilden,
ist eine Kunst-Welt, eine künstliche Welt, die wir zwar gewohnt sind für wahr zu nehmen, in der aber die Personen und die Gegenstände nicht so gezeigt werden,
wie sie wirklich sind, sondern wie sie uns in der Massenbildpresse, im Fernsehen,
in wissenschaftlichen Publikationen, in Museen und Galerien vermittelt werden. Eine doppelte Vermittlung findet in seinen Bildern statt, ein komplizierter und spannender Prozeß, in dem das Abbild eines Objektes mit fragmentarisierten, mikroskopierten, makroskopierten Abbildern kombiniert und als Bildkomplexität angeboten wird.

Laskus' Abbilder der Abbilder verweisen auf die unsichtbar bleibenden realen Objekte und Vorgänge und zwingen den Betrachter in die Aktivität der Vorstellung jener realen Objektwelt und in die verantwortliche Reflexion: Soll es denn so sein, sollen das die Gegenstände sein, soll das die Wirklichkeit sein, die wir als Folge unseres wissenschaftlich-technischen Handelns gewollt haben?

Die Bilder von Artur Laskus, die Zeichnungen, die Radierungen, aus dem kühlen Schatten der nahen Gegenstände heraus gebildet, bilden ein Spannungsfeld,
weil sie in unserer gewohnten Wahrnehmung Getrenntes zusammensetzen, die Oberseite und die Unterseite der Medaille gleichzeitig präsentieren, auch das unter Gehäusen, in Geräten, Apparaten, Maschinen, unter den kosmetisch präparierten Häuten Verborgene sichtbar machen: den Chromosomenschwarm vor der Brust
von Barbarella und Roboter.

Jedes seiner Bilder reizt den Betrachter wie die Hagebuttenkerne im Hemdkragen,
wenn die Bildelemente in ihrem nicht mehr sichtbaren Kontext erfaßt werden,
z.B. Komputerschaltung als Gewürm und nicht in Verbindung mit einer Funktion, sondern mit Mäandern einer mikroskopischen Zellaufnahme; die leergeblasene Landschaft im Hintergrund der Mona Lisa von Leonardo, nicht mit der Mona Lisa, sondern als Folie einer utopischen Rekonstruktion futuristischer Architektur,
einem Gehirn und einem Pin-up. Dadurch verklemmen sich die kombinierten Bild-
elemente mit ihren uns gewohnten Bedeutungs- und Assoziationshöfen ineinander geradezu schmerzlich.

Zuweilen ist auch Ironie im Spiel, so etwa – um ein weiteres Beispiel zu nennen –, wenn Laskus die in der Figur Gottvaters, gemalt von Michelangelo an der Decke der sixtinischen Kapelle im Vatikan auftretenden und mit Hilfe spezieller Sensoren und Detektoren entdeckten Risse und Sprünge mit eben diesen Geräten zusammen, übereinanderliegend darstellt.


Sehen lernen:

I am blind so I can see in the darkLaskus


Die Arbeit von Laskus wäre also ein Hinweis darauf, wie die im wirtschaftenden
und technischen und auch ästhetischen Handeln gewonnenen Erfahrungen
sichtbar gemacht werden können, damit wir sehen lernen,
was die Folgen unseres Handelns sind,
und lernen, unsere wahren Interessen im Handeln wahrzunehmen.

Hilfen für Sehen lernen also:
die Bilder von Artur Laskus als Werkzeuge für unsere Wahrnehmung.
Und deshalb muß der Betrachter aktiv werden.
Ein Werkzeug wird erst durch Gebrauch sinnvoll.
So sind diese Bilder auch Werkzege,
um den rasenden Film unserer Wahrnehmung des Alltäglichen auszuhalten.
Die Bilder zwingen uns, das Nahe, das scheinbar Bekannte fernzustellen.
Sie zeigen uns, in der Reflexion auf sie, die Kälte dieses Nahen.


Schwellenbilder
Angebote zum Überschreiten?


Laskus hat gelegentlich davon gesprochen, daß Ausstellungen als Waschzentren
der Gesellschaft funktionieren.
Er hat gefragt, inwieweit Bildwerke wie Seh- und Handwerkszeuge
im Zivilisationsprozeß Reinigungs- und Klärungsmittel darstellen.

Damit ist die Frage gestellt, ob Kunst überhaupt dazu in der Lage ist, ob Kunst
den durch oberflächenbezogene Ästhetisierung des Nahen,
der Warenhaut, aufgehäuften Schmutz abziehen und durch Fernstellen des Nahen, der an die Wucherungen der Warenhaut gebundenen Affekte und Emotionen,
ein Freilegen menschlicher Sinnlichkeit und Rationalität bewirken kann.


Essen im November 1980, Hermann Sturm


Bestätigung instinktiver Wirklichkeit, 1979, Öl auf Leinwand, 208 x 134 cm, Orig. in Farbe
Text aus dem Ausstellungskatalog:

ARTUR LASKUS
Die Kälte des Nahen
Bilder, Zeichnungen, Radierungen

Ausstellung Kunsthalle Bremen
14. Dezember 1980 bis 8. Februar 1981
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